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Ausgangspunkt unserer Überlegungen war der Versuch, die aktuelle Krise insofern als Chance zu begreifen, als das Zurückgeworfensein auf sich selbst, das durch physical distancing erzwungene Alleinsein am Schreibtisch, das Alleinsein mit einem Text eine „Urszene“ geisteswissenschaftlicher Tätigkeit darstellt, die auch für unsere Adressaten willkommener Anlass zur Selbstreflexion, zur Erkundung der eigenen Einstellungen und Fähigkeiten sein kann. .
Das Projekt wurde entsprechend so konzipiert, dass es die räumliche Distanz zwischen den Beteiligten nicht durch Simulation aufzuheben sucht (etwa mit Hilfe der üblichen Videokonferenzen), sondern sie im Gegenteil offensiv bejaht. Eine unbürokratisch gewährte Förderung durch den Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft machte es möglich, einen virtuellen Raum in Form einer externen Webseite einzurichten, auf die man von der Homepage des Schülerlabors Geisteswissenschaften gelangt. Voraussetzung hierfür ist, um im Bild zu bleiben, eine Eintrittskarte bzw. ein Schlüssel: Diese Zugangsdaten erhalten die betreuenden Lehrkräfte nach der Anmeldung per Post zur Weitergabe an ihre Kurse übersandt. Nach dem Einloggen kann dann jeder Schüler, jede Schülerin dem illustrierten Audio-Podcast selbständig am heimischen Computer, aber auch über ein mobiles Endgerät wie ein Smartphone oder ein Tablet folgen. Die Leitidee des Rückzugs, der Arbeit „in Klausur“ wird darüber hinaus durch die visuelle Gestaltung kommuniziert: Durch die Bildmarke, die ein Buchobjekt mit ins Innere weisender Tür zeigt, ebenso wie durch weitere Abbildungen, die das Motiv der Schwelle immer wieder in konkreter wie abstrakter Form aufnehmen.
Curricular knüpft das Programm an Inhalte des 2. und des 3. Kurshalbjahrs im Rahmenlehrplan Deutsch der Länder Berlin und Brandenburg sowie die entsprechenden Abitur-Schwerpunkte an und ist so gestaltet, dass Inputs in unterschiedlichen medialen Formen (Hördateien, Texte zum Download, Bilder) und diverse Aufgabentypen (freies Schreiben, Sachrecherchen im Internet, Textarbeit mit Leitfragen, Transkriptionsübungen mit Lernerfolgskontrolle) einander abwechseln. Die Koordinatorin des Schülerlabors führt als Haupt-Sprecherin durch die insgesamt zwölf Sequenzen, alle übrigen Audio-Files wurden mit Schauspielern in einem professionellen Tonstudio aufgezeichnet. Der gesamte Durchlauf einschließlich Stillarbeitsphasen und Pausen nimmt ca. vier Stunden in Anspruch und entspricht damit der Dauer einer analogen Veranstaltung im Schülerlabor Geisteswissenschaften.
Der Podcast beleuchtet das Verhältnis von Raum und Literatur auf drei Ebenen: Es geht um das historische Studierzimmer einer Schriftstellerin des ausgehenden 18. Jahrhunderts, nicht zuletzt als wesentliche Bedingung weiblichen Schreibens. Es geht um die Situation des Alleinseins im Home Office während des Lockdowns 2020/21 und die damit verbundenen Probleme der Selbststeuerung und Selbstmotivation. Schließlich geht es um die Möglichkeiten von Lesern poetischer Texte, innere Räume in einem ko-konstruktiven Prozess selbst zu erzeugen: ein Moment schöpferischer Freiheit, das für die Literatur spezifisch ist und sie von Medien wie dem Film unterscheidet.
Im Zentrum steht ein Werk, das im Druck vergriffen, aber im Internet über Fotoscans des Originals verfügbar ist: Mein Schreibetisch (1799) von Sophie von La Roche. Als erste Berufsschriftstellerin Deutschlands, als Freundin Wielands und Goethes, als Großmutter der Geschwister Brentano zählt die Autorin zu den interessantesten Persönlichkeiten in der Literatur- und Kulturgeschichte dieser Zeit. Der in der Tradition der sog. „Zimmerreise“ stehende Bericht liefert auf rund 900 Oktav-Seiten ein Inventar der in La Roches Arbeitszimmer und auf ihrem Schreibtisch befindlichen Bücher, Notizen, Briefe und Erinnerungsstücke. Er ist daher außerordentlich geeignet, die oft noch wenig differenzierten Eindrücke, die Schülerinnen und Schüler im Unterricht von der Literatur dieser Zeit gewinnen, durch eine intimere und weniger „gefilterte“ Perspektive zu ergänzen: Was wurde damals gelesen? Was stand politisch oder ästhetisch auf der Tagesordnung? Welches Verständnis hatte diese Epoche von ihrer Wirklichkeit?
Das wissenschaftspropädeutische Profil des Formats Schülerlabor bringt es mit sich, dass wir neben der Vermittlung von Sachwissen stets auch auf den Erwerb von prozessualem Wissen, die Förderung der methodischen Kompetenzen der Jugendlichen zielen. Auch hierfür bietet La Roches Schreibetisch ausgezeichnete Anknüpfungsmöglichkeiten. Auf einer elementaren Ebene ist etwa die Fähigkeit zur flüssigen Transkription in Fraktur gesetzter Druckseiten zu nennen, die trainiert werden kann. Ferner fallen im Text „Stichwörter“, anhand derer sich Brücken zu im Unterricht behandelten oder erwähnten Lektüren schlagen lassen und vertiefende Recherchen anbieten. Warum liegen z.B. „Ossians Gedichte“ auf La Roches Schreibtisch? Warum greift der Protagonist des Goetheschen Werthers in einer entscheidenden Szene des Romans mit Lotte ebenfalls zu diesen Versen? Wie weit kommen wir mit Begriffen wie „Aufklärung“ und „Empfindsamkeit“, wenn wir La Roches Position innerhalb der Philosophie und Literatur ihrer Zeit bestimmen wollen?
Selbstverständlich macht ein ebenso umfang- wie facettenreiches Werk es erforderlich, um der didaktischen Reduktion willen Schwerpunkte zu setzen. So besteht der im engeren Sinne La Roche betreffende Teil des Podcasts im Wesentlichen aus den folgenden Sequenzen:
Die Übungen und Reflexionen münden in die „Der Raum des Textes“ überschriebene Schlusssequenz. Der „dekonstruktivistische“ Ansatz, den u.a. der Franzose Roland Barthes entwickelt hat, zählt in den akademischen Geisteswissenschaften längst zum Bestand etablierter Theorien und Methoden, in die Praxis der schulischen Literaturvermittlung hat er jedoch bislang nur zögerlich Eingang gefunden. Barthes zufolge ist die Lektüre im besten Falle keine „geschlossene Veranstaltung“, sondern ähnelt eher einem Aufbruch ins Unbekannte, und der Text läuft nicht auf eine fixe Bedeutung hinaus, sondern stellt sich dar als organismisches Gewebe von Zeichen: „Er hat keinen Anfang, ist umkehrbar. Man gelangt zu ihm durch mehrere Zugänge, von denen keiner mit Sicherheit zum Hauptzugang gemacht werden könnte.“ Wenn das für junge Leserinnen und Leser keine befreiende, ermutigende Botschaft ist!
Online-Angebote der Schülerlabore
Titel: Sophie von La Roche im Home Office: Einladung in den literarischen Innenraum. Ein virtuelles Angebot des Schülerlabors Geisteswissenschaften
Art unseres Online-Angebots
Online-Angebot in Form eines Online-KursesInhalt unseres Online-Angebots
Wie die meisten außerschulischen Lernorte hat die Pandemie auch das Schülerlabor Geisteswissenschaften hart getroffen. Denn der Lockdown verhindert, was stets den Kern seiner Arbeit ausmachte: die persönliche Begegnung zwischen Forscherinnen und Forschern auf der einen und Jugendlichen und ihren Lehrkräften auf der anderen Seite, das praktische und durch seinen Objektbezug zutiefst analoge Experimentieren mit wissenschaftlichen Gegenständen und Methoden.Ausgangspunkt unserer Überlegungen war der Versuch, die aktuelle Krise insofern als Chance zu begreifen, als das Zurückgeworfensein auf sich selbst, das durch physical distancing erzwungene Alleinsein am Schreibtisch, das Alleinsein mit einem Text eine „Urszene“ geisteswissenschaftlicher Tätigkeit darstellt, die auch für unsere Adressaten willkommener Anlass zur Selbstreflexion, zur Erkundung der eigenen Einstellungen und Fähigkeiten sein kann. .
Das Projekt wurde entsprechend so konzipiert, dass es die räumliche Distanz zwischen den Beteiligten nicht durch Simulation aufzuheben sucht (etwa mit Hilfe der üblichen Videokonferenzen), sondern sie im Gegenteil offensiv bejaht. Eine unbürokratisch gewährte Förderung durch den Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft machte es möglich, einen virtuellen Raum in Form einer externen Webseite einzurichten, auf die man von der Homepage des Schülerlabors Geisteswissenschaften gelangt. Voraussetzung hierfür ist, um im Bild zu bleiben, eine Eintrittskarte bzw. ein Schlüssel: Diese Zugangsdaten erhalten die betreuenden Lehrkräfte nach der Anmeldung per Post zur Weitergabe an ihre Kurse übersandt. Nach dem Einloggen kann dann jeder Schüler, jede Schülerin dem illustrierten Audio-Podcast selbständig am heimischen Computer, aber auch über ein mobiles Endgerät wie ein Smartphone oder ein Tablet folgen. Die Leitidee des Rückzugs, der Arbeit „in Klausur“ wird darüber hinaus durch die visuelle Gestaltung kommuniziert: Durch die Bildmarke, die ein Buchobjekt mit ins Innere weisender Tür zeigt, ebenso wie durch weitere Abbildungen, die das Motiv der Schwelle immer wieder in konkreter wie abstrakter Form aufnehmen.
Curricular knüpft das Programm an Inhalte des 2. und des 3. Kurshalbjahrs im Rahmenlehrplan Deutsch der Länder Berlin und Brandenburg sowie die entsprechenden Abitur-Schwerpunkte an und ist so gestaltet, dass Inputs in unterschiedlichen medialen Formen (Hördateien, Texte zum Download, Bilder) und diverse Aufgabentypen (freies Schreiben, Sachrecherchen im Internet, Textarbeit mit Leitfragen, Transkriptionsübungen mit Lernerfolgskontrolle) einander abwechseln. Die Koordinatorin des Schülerlabors führt als Haupt-Sprecherin durch die insgesamt zwölf Sequenzen, alle übrigen Audio-Files wurden mit Schauspielern in einem professionellen Tonstudio aufgezeichnet. Der gesamte Durchlauf einschließlich Stillarbeitsphasen und Pausen nimmt ca. vier Stunden in Anspruch und entspricht damit der Dauer einer analogen Veranstaltung im Schülerlabor Geisteswissenschaften.
Der Podcast beleuchtet das Verhältnis von Raum und Literatur auf drei Ebenen: Es geht um das historische Studierzimmer einer Schriftstellerin des ausgehenden 18. Jahrhunderts, nicht zuletzt als wesentliche Bedingung weiblichen Schreibens. Es geht um die Situation des Alleinseins im Home Office während des Lockdowns 2020/21 und die damit verbundenen Probleme der Selbststeuerung und Selbstmotivation. Schließlich geht es um die Möglichkeiten von Lesern poetischer Texte, innere Räume in einem ko-konstruktiven Prozess selbst zu erzeugen: ein Moment schöpferischer Freiheit, das für die Literatur spezifisch ist und sie von Medien wie dem Film unterscheidet.
Im Zentrum steht ein Werk, das im Druck vergriffen, aber im Internet über Fotoscans des Originals verfügbar ist: Mein Schreibetisch (1799) von Sophie von La Roche. Als erste Berufsschriftstellerin Deutschlands, als Freundin Wielands und Goethes, als Großmutter der Geschwister Brentano zählt die Autorin zu den interessantesten Persönlichkeiten in der Literatur- und Kulturgeschichte dieser Zeit. Der in der Tradition der sog. „Zimmerreise“ stehende Bericht liefert auf rund 900 Oktav-Seiten ein Inventar der in La Roches Arbeitszimmer und auf ihrem Schreibtisch befindlichen Bücher, Notizen, Briefe und Erinnerungsstücke. Er ist daher außerordentlich geeignet, die oft noch wenig differenzierten Eindrücke, die Schülerinnen und Schüler im Unterricht von der Literatur dieser Zeit gewinnen, durch eine intimere und weniger „gefilterte“ Perspektive zu ergänzen: Was wurde damals gelesen? Was stand politisch oder ästhetisch auf der Tagesordnung? Welches Verständnis hatte diese Epoche von ihrer Wirklichkeit?
Das wissenschaftspropädeutische Profil des Formats Schülerlabor bringt es mit sich, dass wir neben der Vermittlung von Sachwissen stets auch auf den Erwerb von prozessualem Wissen, die Förderung der methodischen Kompetenzen der Jugendlichen zielen. Auch hierfür bietet La Roches Schreibetisch ausgezeichnete Anknüpfungsmöglichkeiten. Auf einer elementaren Ebene ist etwa die Fähigkeit zur flüssigen Transkription in Fraktur gesetzter Druckseiten zu nennen, die trainiert werden kann. Ferner fallen im Text „Stichwörter“, anhand derer sich Brücken zu im Unterricht behandelten oder erwähnten Lektüren schlagen lassen und vertiefende Recherchen anbieten. Warum liegen z.B. „Ossians Gedichte“ auf La Roches Schreibtisch? Warum greift der Protagonist des Goetheschen Werthers in einer entscheidenden Szene des Romans mit Lotte ebenfalls zu diesen Versen? Wie weit kommen wir mit Begriffen wie „Aufklärung“ und „Empfindsamkeit“, wenn wir La Roches Position innerhalb der Philosophie und Literatur ihrer Zeit bestimmen wollen?
Selbstverständlich macht ein ebenso umfang- wie facettenreiches Werk es erforderlich, um der didaktischen Reduktion willen Schwerpunkte zu setzen. So besteht der im engeren Sinne La Roche betreffende Teil des Podcasts im Wesentlichen aus den folgenden Sequenzen:
- Galinette und ihre Brüder: die Franzosen: Die Sequenz behandelt La Roches Wahrnehmung unseres Nachbarlandes als Reich der Eleganz, der Mode, der Galanterie, insbesondere aber als Land der Französischen Revolution und geht der Frage nach, ob bzw. wie sich damalige und heutige Nationalstereotype unterscheiden.
- Die „Wilden“: Anhand eindrücklicher Textpassagen wird die ambivalente Haltung untersucht, mit der La Roche als Kind ihrer Zeit den „Negern“, d.h. den Einwohnern der überseeischen Kolonien, entgegentritt, die oft als Diener in Häusern angestellt waren, in denen sie verkehrte:
- Frauenzimmer: Ausgehend von einer berührenden Textstelle, an der La Roche Goethes jung verstorbener Schwester Cornelia gedenkt, fragt diese Sequenz nach den Voraussetzungen, derer diese bedurft hätte, eine ebenso bedeutende Autorin zu werden – Überlegungen, wie sie ähnlich Virginia Woolf in dem berühmten Essay A Room of One´ s Own (1928) für Shakespeares imaginäre Schwester angestellt hat.
- Serendipity: Es fällt auf, wie häufig La Roche bei der Beschreibung ihres Arbeitszimmers auf interessante (textliche) Nachbarschaften verweist, die der Zufall gestiftet habe. Da stehen Bücher unterschiedlicher Autoren, in verschiedenen Sprachen oder aus diversen Epochen nebeneinander, die sich wechselseitig relativieren, kommentieren und nicht selten überraschende Ideen freisetzen. Dieser moderne – um nicht zu sagen: postmoderne – Zug in La Roches Denken wird an einigen Beispielen vorgestellt.
Die Übungen und Reflexionen münden in die „Der Raum des Textes“ überschriebene Schlusssequenz. Der „dekonstruktivistische“ Ansatz, den u.a. der Franzose Roland Barthes entwickelt hat, zählt in den akademischen Geisteswissenschaften längst zum Bestand etablierter Theorien und Methoden, in die Praxis der schulischen Literaturvermittlung hat er jedoch bislang nur zögerlich Eingang gefunden. Barthes zufolge ist die Lektüre im besten Falle keine „geschlossene Veranstaltung“, sondern ähnelt eher einem Aufbruch ins Unbekannte, und der Text läuft nicht auf eine fixe Bedeutung hinaus, sondern stellt sich dar als organismisches Gewebe von Zeichen: „Er hat keinen Anfang, ist umkehrbar. Man gelangt zu ihm durch mehrere Zugänge, von denen keiner mit Sicherheit zum Hauptzugang gemacht werden könnte.“ Wenn das für junge Leserinnen und Leser keine befreiende, ermutigende Botschaft ist!
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Hier kommen Sie zu diesem Angebot.Infobox
Schülerlabor:
Kontakt-Person(en):
Dr. Yvonne Pauly
Fachgebiet(e):
Deutsch
Angebot geeignet für:
Sekundarstufe II / 11. und 12. Jahrgangsstufe (v.a. an Schulen in Berlin und Brandenburg)
Zielgruppe:
einzelne Interessierte (bzw. ganze Kurse in Einzelbearbeitung)
Zeitaufwand:
4 Stunden
Schlagwörter:
Literatur um 1800: Aufklärung – Empfindsamkeit – Sturm und Drang – Klassik - Romantik; Literatur und Raum; historische Drucke; historische Semantik; Literaturgeschichte und Frauenbewegung; Rassismus/Kolonialismus; nationale Stereotype; Postmoderne/Dekonstruktion